Heute plaudere ich mal aus meinem Nähkästchen.
Harry begleitet mich schon seit 24 Jahren in meinem Leben. Harry ist ein herzensguter Mensch, der dir sein letztes Hemd schenkt, auch wenn er dann keines mehr hat. Er ist höflich, zuvorkommend, beflissen, macht den Haushalt - der ideale Partner. Du äußerst einen Gedanken, eine Idee, schon ist Harry in seinem Element. Er macht alles, was in seinen Möglichkeiten liegt, um deine Gedanken Wirklichkeit werden zu lassen.
Die andere Seite seines Lebens ist etwas anstrengend. Da Harry mal eben 7 Jahre älter ist, möchte er inzwischen immer Recht haben. Das war nicht immer so. Meine Erlebnisse mit Harry werden hin und wieder auch in meinen Blogartikeln zu lesen sein, denn es ist ein Teil meiner Erfahrungen mit älteren Menschen.
Es war zu der Zeit, als der Abbau von Arbeitsplätzen gerade durch Interim-Manager zur Kosteneinsparung beitrug. Harry gehörte zu den Menschen, deren Alter ihnen erlaubte, über die Altersteilzeitregelung früher in Rente zu gehen. Sein Beweggrund war, einem jüngeren Kollegen den Arbeitsplatz zu sichern. Deshalb war seine Entscheidung schnell getroffen. Jedoch die Tragweite, die daraus resultierte war ihm überhaupt nicht bewusst. Zuerst lief alles normal, er ging weiterhin zur Arbeit, fühlte sich gebraucht und trug seinen Teil bei.
Dann jedoch kann der Tag, der alles änderte und auf den Kopf stellte. Nach 3 Jahren Teilzeitarbeit, in denen Harry den ganzen Tag gearbeitet hatte, folgte die Phase der Freistellung. Das Gehalt hatte sich mit der Altersteilzeit ja schon verringert.
Mit der Freistellung von der Arbeit kam dann auch das Bewusstsein dahinter, ja jetzt ist das Ende des Arbeitslebens. Harrys Gefühle fuhren Achterbahn im wahrsten Sinne des Wortes.
„Ich werde nicht mehr gebraucht!“
„Alles ist sinnlos!“
„Wofür habe ich mein ganzes Leben gearbeitet, um jetzt auf dem Abstellgleis zu sein?“
Harry konnte sich selbst nicht leiden und verfiel in eine tiefe depressive Phase. Er wurde richtig unleidlich und stand mit sich und allem auf Kriegsfuß. Dazu kam noch, dass er sich im Vorfeld nicht erkundigt hatte, was er an Rente bekommt. Das war das nächste Dilemma. Mit allem völlig unzufrieden, wurde seine Laune immer schlechter. Auch alles, was er um sich selbst wahrnahm, funktionierte nicht.
Er empfand die Menschen als unfreundlich, unordentlich und laut – selbst die liebsten Nachbarn konnten ihm nichts mehr Recht machen.
Meine Vorschläge mit dem Ziel, seine Situation zu verbessern, interessierten Harry nicht und drangen auch nicht bis in seine Welt vor. Er saß den ganzen Tag zu Hause und wartete darauf, dass ich nach Hause kam. Kaum, dass ich die Tür geöffnet hatte, überfiel er mich gleich mit allen Anliegen, die sich im Laufe des Tages seiner Meinung nach aufgehäuft hatten. Ein „zu Hause in Ruhe ankommen“ gab es zu dieser Zeit nicht. Seine Probleme und Sorgen waren das Wichtigste überhaupt. Seine ehemaligen Hobbies und handwerklichen Fähigkeiten lagen komplett brach. Statt in seiner Freizeit Puppenhäuser oder Puppenwagen zu bauen, konstruierte er Probleme. Auch sein gewerkschaftliches Engagement gehörte der Vergangenheit an. Harry grübelte vor sich hin. Sein Fahrrad stand nur noch im Keller.
Wir meisterten einige schwierige Jahre.
Ich habe daraus gelernt, dass es ein ganz wichtiges Thema ist, sich lange vor dem Eintritt in den Ruhestand darauf vorzubereiten. Welche Hobbies habe ich, die ich dann betreiben kann? Habe ich Freunde, mit denen ich etwas unternehmen kann? Was wollte ich schon immer tun, wenn ich Zeit und Ruhe habe? Gibt es Talente, die ich nutzen kann, um anderen Menschen ein Mentor zu sein? Möchte ich mich nun ehrenamtlich betätigen?
All diese Fragen bedürfen der Antwort.
💜lich Jutta
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